SPIEGEL KULTUR: Corona in den USA „Die New Yorker wurden unsichtbar“

17.05.2020 - 31.12.2020

Die deutsche Künstlerin Josephine Meckseper lebt in Manhattan. Hier spricht sie über die Auswirkungen der Krise auf den Kulturbetrieb – und darüber, was Corona mit dem Zeitgeist der Stadt macht. Ein Interview von Ulrike Knöfel 17.05.2020, 20.23 Uhr.

SPIEGEL: „Frau Meckseper, Ihre Werke handeln oft von Protestkulturen und was sie über Gesellschaften aussagen – nun formen sich in den USA Demonstrationen ganz eigener Art. Wie nehmen Sie die wahr?“
Meckseper: „Die bis unter die Zähne bewaffneten Virusleugner, die sich in den letzten Wochen ohne Masken öffentlich zusammenrotten, würde ich nicht als Demonstranten bezeichnen. Sie sind eher Produkte einer systematischen Volksverdummung, Opfer einer mangelhaften Bildung in diesem Land und angestachelt durch Fox News, ein Sender, der ja fast schon ein Propagandakanal ist.“
SPIEGEL: „Auch in Deutschland gehen inzwischen Leute auf die Straße, protestieren gegen die Verordnungen, die zum Schutz der Bevölkerung erlassen wurden. Lässt sich das vergleichen?“
Meckseper: „Ja, die Pandemie deckt ja verstärkt die Schwachstellen unserer westlichen Gesellschaften auf – wie beispielsweise ganze Bevölkerungsschichten zunehmend populistisch beeinflusst werden und vermehrt auf alte und neue Feindbilder zurückgreifen. Auf diese Weise erodiert etwas Kollektives, das für Demokratien so wichtig ist.“
SPIEGEL: „Was genau?“
Meckseper: „Das Einverständnis aller zu einer Welt, die sozial ist und gleichberechtigt und, wichtiger denn je, auch umweltbewusst. Die von rechts angestifteten Menschenversammlungen sind ein Barometer dafür, wie manipulationsanfällig die westliche Demokratie insgesamt ist, was auch für die kommenden US-Präsidentschaftswahlen im November kein gutes Omen ist.“
SPIEGEL: „Sie wohnen seit 1992 in New York, wo die Auswirkungen der Pandemie dramatisch sind. Wie erleben Sie die Stadt in dieser Zeit?“
Meckseper: „Das Leben hat sich schlagartig verändert und niemand von uns weiß, wie eine Existenz mit dem Virus in den kommenden Monaten oder auch Jahren hier aussehen wird. Man erfährt fast täglich, dass Bekannte aus dem Freundeskreis verstorben sind. Das ist unheimlich. Die Erfahrung der Isolation hingegen ist Künstlern nicht fremd, vor jeder großen Ausstellung verbringt man oft Monate im Atelier und in Gedanken, um dann plötzlich festzustellen, dass sich draußen längst die Jahreszeit geändert hat.“
SPIEGEL: „In welcher Hinsicht hat sich die Stadt am deutlichsten verändert?“
Meckseper: „Typisch ist diese Geräuschkulisse hier in Manhattan: lärmende Menschenmassen, hupende Autos, Baustellen mit Presslufthämmern, die Tag und Nacht zu hören sind. Das alles verstummte schlagartig Mitte März. Die Stille, die sich plötzlich ausbreitete, ist sehr gespenstisch und nur unterbrochen durch die unerbittlichen Krankenwagensirenen, die die Opfer der Pandemie über die leeren Straßen in die Krankenhäuser transportieren. Man fühlt sich seitdem wie in einem apokalyptischen Science-Fiction-Film.“
(Foto: Werk von Josephine Meckseper: „Wie in einem apokalyptischen Science-Fiction-Film“).

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