„DOUBLE TAP #8“. Interview mit Tim Berresheim von Anna Meinecke

17.07.2019 - 31.12.2019

gallerytalk.net. Wir schreiben Kunst

Tim Berresheim wirbelt Haare auf und lässt Mini-Burger fliegen. Gerade hat er ein beschlafmütztes Kartoffelwesen in eine Pariser Galerie verpflanzt. Ob raumgreifend oder in Buchform: Berresheim schafft Bildwelten, in die man nicht nur eintauchen will, sondern per App oder 3D-Brille auch tatsächlich eintauchen kann. Mit gallerytalk.net spricht er über Freude am Autodidaktentum und KI in der Bildenden Kunst.

gallerytalk.net: Wann hast du das erste Mal eine 3D-Brille aufgehabt?
Tim Berresheim: Das müsste Mitte der Achtzigerjahre im Brühler Phantasialand gewesen sein. Da gab es meiner Erinnerung nach ein 3D-Kino in 360 Grad, wo man einfach überall etwas erblicken konnte. Es war wie in eine Parallelwelt zu schauen. Zu der Zeit und noch ohne Internet war das für ein Kind vom Land geradezu berauschend.

Ich hab mich so gefreut, als ich mit dem Ding auf der Nase durch deinen Jahresbericht geblättert habe. Neben der 3D-Brille braucht man eine App. Hast du das Gefühl, den Leuten wird der Zugang zu deinen Arbeiten durch solche Features erleichtert oder erschwert?
Ich habe natürlich den stillen Wunsch, dass der Zugang dadurch erleichtert wird. Meine Form der Bildgenese bringt – noch – Probleme bei der Vermittlung mit sich, da das Ausgearbeitete nicht sofort zu erkennen vollständig ist. Deswegen benutze ich Apps und die 3D-Brille. Sie geben den ganz klaren Hinweis, dass sich meine Bildwelt aus der dreidimensionalen Welt speist und entsprechend erfahren werden kann.

Du giltst als Vorreiter der computergenerierten Kunst. Wie hast du dich für das Medium entschieden? Haben dich traditionelle Techniken gelangweilt?
Ich fand Computer schon immer toll und habe sie auch schon früh als sehr sinnvoll empfunden. Zur Kunst kam ich mit 25 Jahren eigentlich recht spät und bin dann auch erstmal in einer Malerei-Klasse gelandet. Dennoch hat mein Instinkt mich dann beim Computer bleiben lassen, der mich dahin geführt hat, wo viele Dinge noch nicht passiert sind. In der Malerei war das ja anders. Da war vieles schon geschehen und gesehen. Die Arbeit damit erschien mir, eher ein frustrierender bis quälender Prozess zu werden. Der Computer hingegen vermittelte mir, viel mehr in neuem Terrain unterwegs zu sein und dort dann auch Spaß empfinden zu können.

Ich kann nur ahnen, wie komplex der technische Teil deiner Arbeit ist. Was muss man können und wer hat dir das beigebracht?
Man sollte vor allem Freude am Autodidaktentum haben. Man muss eine Euphorie entwickeln können, Systeme zu knacken, die für andere vielleicht frustrierend erscheinen, sowie diese dann auch so zu beugen, dass etwas dabei herumkommt, was mit einem selbst sehr viel zu tun hat. Als ich mit der Bildproduktion durch den Computer angefangen habe, gab es keine Tutorials bei Youtube oder sonst wo.

Hattest du Vorbilder aus der Kunstwelt oder vielleicht auch aus anderen Bereichen wie Gaming?
Ich spiele zwar gerne Games, aber erlebe das im Nachhinein immer wie einen Missbrauch an mir selber und im Gegensatz zur Kunst als recht unbefriedigend. Einfach als ob ich nur Zeit totgeschlagen hätte. Das ist aber viel mehr mein privates Erleben. Die Kunst, die ich mag, ist meist sehr überbordend, wie zum Beispiel die von Fortunato Depero oder Mike Kelley sowie die Kunst des Barock. Ich mag die Idee, dass man aus allen Rohren gleichzeitig schießen kann.

Magst du dir mal eine Arbeit raussuchen und mir als Laien erklären, mit welchen technischen Kniffen du die möglich gemacht hast, damit ich einen groben Einblick in deine Arbeitsweise bekomme?
Die technischen Kniffe die zu meinem Bild „Le Suaire Digital III (Mort)“ geführt haben sind eigentlich ganz klassische: Auf einem Stück Papier sind Aquarelle entstanden, deren Atmophäre und Formensprache eine Auseinandersetzung mit dem Thema Tod darstellt, eins der drei Themen meiner Pariser Ausstellung „Sleep Walk“. Die gemalten Exponate habe ich mit einem großen Scanner in den Computer importiert. Aus den Motiven habe ich Bahnen geschnitten und diese dann einem 3D-Element appliziert, welches sich von der Physik her wie textiler Stoff verhält. Diese „Stoffbahnen“ habe ich dann über 3D-Objekte fallen lassen, also einen digitalen Faltenwurf erzeugt. Dieser „verbiegt“ dann – wie in der Realität – die vorher angebrachte Textur. Diese Form wirkt wie ein malerisches, abstraktes Bild. Ich habe sie dann in 31 Millionen Kugeln zersetzt und wie die Struktur von Styropor wirken lassen. Dann habe ich noch durch die komplette Szenerie Rauch mäandern lassen, der diese kleinen Kügelchen mit auf seinen Weg gerissen hat.

Ich gehe davon aus, du brauchst ganz schön Rechenpower für deine Arbeit. Wie viele Rechner sind da beim Rendern so in Betrieb?
In meinem Studio haben wir insgesamt über 152 CPUs, was ungefähr zehn Rechner sind, die an meinen Bildern arbeiten.

Irgendwas mit VR-Brille ist ja im Moment ganz angesagt in der Kunst. Wie beurteilst du den Trend?
Ich persönlich finde Virtual Reality weder in der Gaming- und Entertainment- noch in der Kunstwelt interessant. Das visuelle Ergebnis empfinde ich meistens recht „kinderschuhig“ – wie bei dem 90er-Film „Der Rasenmähermann“. Mich interessiert vielmehr eine Bildwelt, in der es um viel Detail, viel Fülle und eben die „Suspension of Disbelief“ geht. Die Kluft zwischen zeitgenössischer Bildproduktion und Kunstgeschichte ist jetzt schon sehr groß. Die kann nicht mit Babyschritten überbrückt werden. Es braucht einen Riesensprung. Die passendste Antwort der Kunst auf die heutige Zeit kann doch nicht die sein, dass man sich einfach einen Bildschirm in zwei Zentimeter Abstand vor die Augen klebt.

Wann ist computergenerierte Kunst gute computergenerierte Kunst? Mit welchen Maßstäben kann vielleicht auch ein ungeschulter Betrachter arbeiten?
Gute computergenerierte Kunst wird als solche eigentlich kaum besprochen. Das Computergenerierte ist eher nebensächlich. Es geht vielmehr um die Welt der Bilder und das computergenerierte Bild wird im besten Falle auch nur als zeitgenössisches Bild wahrgenommen. Wie es tatsächlich hergestellt wurde, ob gemalt, getupft, gebastelt oder mit dem Computer entstanden ist, finde ich unerheblich. Es sollte bei mir aber mit beiden Beinen in der Kunstgeschichte stehen und mit einem zweidimensionalen Abbild eine Antwort auf den Tumult geben können, den wir im Alltag erleben.

Programme müssen erst mit Informationen gefüttert werden, um zu funktionieren. Welche Rolle spielt der Zufall noch in Zusammenhang mit computergenerierter Kunst?
Vielleicht müssen wir erst einmal unterscheiden zwischen einem Zufall in der Malerei – etwa dem Spritzer oder Tropfen, der passiert, ohne das es eine Intention dafür gab – und einem Zufall, der in einem Computer generiert wird. Einem Computer „passiert“ ja eigentlich nichts, denn man muss bei ihm alles erwarten. Man kann hier auch von Erwartungstreue sprechen, da sie diese Methodik an der Bildwelt sicherlich am besten beschreibt. Der Zufall wäre dann also nur ein mathematischer Zufall, wenn man den Computer etwas entscheiden lassen möchte, was beispielsweise mit Bewegungen in einem dreidimensionalen Raum zu tun hat und nicht physikalischen Ursprungs ist. Das ist aber vielleicht gar kein so wichtiger Aspekt der computergenerierten Kunst.

Welche Potenziale birgt künstliche Intelligenz für die bildende Kunst?
Es birgt bestimmt das Potenzial, dass mühselige Prozesse und nervige Handwerksaufgaben von Künstlern am Computer von der KI erledigt werden können – zum Beispiel das Freistellen von Bildhintergründen, falls jemand in der Welt der Collagen weiterarbeiten will. Die KI sollte aber nichts generativ selber machen dürfen und dadurch zu einem Bild kommen können. Vor allem darf sie keine Ausrede sein, sich keine Mühe mehr zu geben.

Viele Künstler wollen ihr Werk ja gern für sich sprechen lassen, du sprichst gefühlt viel über deine Arbeit, hältst Vorträge. Siehst du dich da als Wegbereiter auch in der Pflicht?
Ich sehe mich in der Pflicht und ich sehe auch die Notwendigkeit, diese Bildwelt einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Wir sind noch nicht in der Phase, in der solche Bilder von jedem als selbsterklärend wahrgenommen werden können. Außerdem wird über die besondere Bildwelt der computergenerierten Kunst leider sonst auch recht selten von anderen geredet – zumindest wie ich den Diskurs momentan beobachte.

Dafür, dass du Kunst mit Computern machst, bist du einigermaßen zurückhaltend auf Instagram aktiv. Keine Lust?
Das ist tatsächlich abhängig von meiner Tagesform. Leider empfinde ich es meistens als quälend.

Wann oder von wem fühlst du dich als Künstler am besten verstanden?
Ich fühle mich meistens am besten verstanden, wenn meine Kunst nicht über ihren technischen Aspekt besprochen wird, sondern über das Bild an sich. Die Erfahrung habe ich häufig mit Leuten, die sich professionell mit Kunstgeschichte befassen, wie zum Beispiel Kuratoren und Galeristen, aber natürlich auch Sammlern (Tim Berresheim: „Le Suaire Digital III (Mort)“, 2019, Harz und Pigmente auf Papier).

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