„Distanzen – geheiratet – ungefeiert“ mit Ergül Cengiz

09.07.2021 - 22.07.2021

Parkplatz Mariä Sieben Schmerzen, Goldschmiedplatz Blauer Punkt und Festplatz Dülferanger, München

Überall werden Künstler zurzeit dazu aufgefordert sich mit diesem Thema Distanz auseinanderzusetzen. Was können Künstler*innen zu diesem Thema beitragen im öffentlichen Raum, damit eben nicht nur die Bildungselite, sondern auch das Kunstferne Publikum daran partizipieren kann? Es ist gut gemeint, versteht sich, aber ist der künstlerische Kommentar zur aktuellen Situation tatsächlich relevant und kommt er irgendwo anders an als eben wieder in der eigenen Blase? Der gegenwärtige Diskurs scheint dieses Dilemma widerzuspiegeln. Zwar wird der Kulturbetrieb als existenzieller Träger der Demokratie beschrieben, Kulturinstitutionen als „Freizeiteinrichtungen“ aber doch nicht so „systemrelevant“ wie ein Friseur, wie ginge das auch, ohne sauberen Haarschnitt zur Arbeit? Wo schätzen sie, kommt man sich physisch n her, im Museum oder im Supermarkt?
Nun, es geht mir nicht darum zu jammern, sondern zunächst einmal pointiert herauszustellen, wo für mich bei einer solchen Ausschreibung die tatsächliche Distanz liegt, die es zu überwinden gilt. Wie findet eine derartige künstlerische Arbeit das Publikum, die sie tatsächlich betrifft, was in diesem Fall bedeutet: alle.
Alle also. Leider scheint es mir, dass für den Bereich der Kunst der Sachverhalt des „social distancing“ nichts Neues ist, vielmehr zuweilen selbst als ein Mittel zur „sozialen Abgrenzung“ erscheint.
Ich will es durch meine eigene Geschichte anschaulicher machen.
Ich komme aus einer Gastarbeiterfamilie. Sie sind 1969 nach Deutschland gekommen, um sich und ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Ich habe mich entschieden Künstlerin zu werden. Anscheinend haben mich ihre Existenzängste nicht so stark beeinflusst, ich hatte keine Angst einen Beruf zu wählen der kaum Sicherheit bietet.
Durch mich haben sie Messen, Galerien, Museen, Diskussionsrunden besucht und mit der Zeit sich die Benimmregeln angeeignet. Doch die Hemmschwelle in diese Gesellschaft einzutauchen, hat sich nicht aufgelöst. Ist das Interesse für Kunst und Kultur gewachsen, auf jeden Fall doch nur mit einem persönlichen Bezug.
Der Versuch, die Realität abzubilden/zu zeigen ist eine der ältesten Motivationen künstlerischen Schaffens. Sieht man einmal von den Bemühungen ab, die Realität einfach nur visuell täuschend echt nachzubilden, wie es sinnbildlich im Wettstreit zwischen Zeuxis und Parrhasios beschrieben wird und betrachtet man Kunst, die darüber hinaus um die realistische Darstellung sozialer Kontexte bemüht ist, so ist bei aller Bemühung stets festzuhalten, dass es sich bei dem jeweiligen Kunstwerk immer um eine Abbildung des jeweiligen Sachverhalts handeln wird. Nehmen wir einmal die, freilich stark moralisch und politisch überspitzten Arbeiten William Hogarths als ein frühes Beispiel solcher Bemühungen. Bei aller Drastik und Detailliertheit der Abbildungen bleibt der Rahmen als Fenster, bleibt die Distanz gewahrt. Selbst wenn Hogarth die Käufer seiner Arbeiten an die von ihm dargestellten Orte sozialen Elends geführt hätte, so wären die Rollen Sujet, Vermittler, Betrachter unverändert geblieben, die Realität ein Tableau vivant. Hätte Hogarth die Grenze zwischen Sujet und Vermittler aufgegeben, wäre aus ihm so etwas wie ein Sozialarbeiter geworden. Wäre es dann noch Kunst? Und wo bliebe dann der Betrachter? Kann das Sujet sich selbst betrachten oder braucht Kunst den Rahmen (wahlweise den Sockel)? Die sich aus einer solchen Vorgehensweise ergebenden Probleme lassen sich gut an einer Arbeit wie Thomas Hirschhorns Arbeit Bataille Monument von 2002 ablesen.
Was kann ich mit meiner Feststellung im öffentlichen Raum machen?
Ich möchte ein anderes Publikum ansprechen, dass sich nicht mit Kunst beschäftigt. Auf die der Pandemie geschuldeten emotionalen und sozialen Verluste dieser Menschen aufmerksam machen, ohne sie als Thema einer künstlerischen Arbeit zu instrumentalisieren.
Wo sind durch die Infektionsschutzmaßnahmen, den Lockdown derartige Verluste aufgetreten?
Hier zu versuchen, eine derartige Liste zu erstellen, ist denke ich unmöglich. Ich möchte für mich ein soziales Ereignis hervorheben, das meiner Meinung nach mit besonderer Intensität das Thema „Nähe“ versinnbildlicht: die Hochzeit.
Während Ausstellungen abgesagt werden, werden auch Hochzeitfeiern, Beerdigungen, Taufen, Beschneidungsfeste, Konfirmationen abgesagt. Alles Veranstaltungen die einzelnen Menschen meist nur einmal erleben. Gerade Hochzeiten in nicht deutsch-deutschen Kreisen werden als Spreader-Event verteufelt. Sind Hochzeiten wichtig, kann man sie mit Ausstellungen vergleichen?
In meiner Kindheit und Jugend in Moosburg a. d. Isar waren es, in der Gesellschaft, in der ich aufwuchs, die wichtigsten Veranstaltungen im Jahr. Es hatte mehr Bedeutung als das Opferfest und Ramadan. Gerade in einem Land, in dem nicht christliche religiös Feiertage erst langsam anerkannt werden, waren diese Hochzeitfeiern enorm wichtig für das kulturelle Leben dieser verschiedenen Communitys.
Ich finde es sehr traurig, dass man diesen wichtigen Veranstaltungen nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenkt und dieses Erlebnis nur im privaten ausgelebt werden kann.
Die meisten Hochzeiten, die ich erlebte, fanden in Gemeindesälen, Stadthallen, selten in Hotels (da die wirtschaftliche Lage der Beteiligten dies nicht zuließ) statt. Wir fuhren zu Hochzeiten, mit einem angemieteten Bus nach Mannheim, Hagen, Westberlin, Düsseldorf, Kassel, Frankfurt, Wien etc.
Diese Art des Feierns und Tanzens ohne Alkohol hat etwas Befreiendes.
Genau das fehlt mir und ich glaube auch der Gesellschaft. Einfach mal loszulassen. Deshalb möchte ich entfallene Hochzeiten nachfeiern. Es werden 3 Bands engagiert und spielen auf der mobilen Bühne Hoodmove 16 vom Kulturbunt Neuperlach an 3 Tagen, 3 verschieden Orten je 2 Stunden Musik im Hasenbergl.
Ich denke das Hasenbergl ist ein guter Ort, da die deutsch-deutsche Bevölkerung nicht in der Mehrzahl ist, wie es an allen Orten in München an denen Kulturbetriebe angesiedelt sind der Fall ist.

Im Vorfeld habe ich im Standesamt in Erfahrung gebracht, wie viele Paare in diesem Zeitraum geheiratet haben. Diese Zahl wird an den Laster angebracht. Zusätzlich soll noch zu der Zahl, in mehreren Sprachen „geheiratet – ungefeiert“ stehen. Mit weißem Tüll und mehr wird dem Anlass entsprechend eine Dekoration aufgebaut.
Orte /Bands/ Termine:
09.07.2021: Freitag, 18 Uhr,
Parkplatz Mariä Sieben Schmerzen, Thelottstr. 28, 80933 München (Dank an Otto Lang, Pastoralreferent und Pfarrverbandsbeauftragter),
Unterbiberger Hofmusik, www.unterbiberger.de.
16.07.2021: Freitag, 18 Uhr,
Goldschmiedplatz Blauer Punkt, Schleißheimer Str. 520, 80933 München (Diakonie Hasenbergl e.V. und Bewohnerstammtisch Hasenbergl-Nord),
Lucile and the Rakibuam, www.triptown.de.
22.07.2021: Donnerstag, 18 Uhr,
Festplatz Dülferanger, U-Bahn Dülferstra e, 80933 München, Oansno www.oansno.de.

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