„Angst ist männlich und komisch – Videoarbeiten von Julika Rudelius“ von Martin Mezger, Stuttgarter Zeitung, 12.05.2023

13.05.2023 - 16.07.2023

Solo Show „Julika Rudelius – in the days of the bullies“

Stuttgarter Zeitung

Die neue Ausstellung in der Esslinger Villa Merkel zeigt Videoarbeiten von Julika Rudelius. Ihre inszenierten Sozialstudien entlarven patriarchale Macht und Gewalt, stilisieren aber keine Opferrollen. Ebenso zu sehen: dezente Zeichnungen über Männergewalt.

ESSLINGEN. Ein Mordsteil hat er da im Arm, Pumpgun oder was. Gleich knallt er damit seine Freundin ab, grundlos natürlich. Obwohl er doch so sympathisch aussieht, nach Uniabsolvent und linksliberal. Der Smart Boy als Serienkiller. Beängstigend. Verständlich, dass sich in dieser Welt eine junge Mutter in lauter Schutzinstinkte auflöst. Die Geborgenheit, die sie ihrem Baby bietet, ist ein SUV: die Potenzramme als rollender Uterus. Eine krass paradoxe Angstumkehr.
Woher kommt die Angst? Vom Tod? Vom lieben Gott? Vom Kapitalismus? Bei der Videokünstlerin Julika Rudelius kommt sie vom Patriarchat, also von Tod, Gott und Kapital gleichermaßen. Was die Künstlerin feministisch dagegensetzt: nichts Plakatives, erst recht keine weiblichen Opferrollen. Sondern subversive Strategien, die Abhängigkeiten entlarven. Bei Rudelius zeugt die Symbolik patriarchale Gewalt mit der Angst, die ihr innewohnt, keine Opfer, sondern Mitwirkende. Was viel schlimmer ist – und komischer.
Die Pointe ist deshalb, dass er die Freundin nicht abknallt. Sondern küsst. Harmlos? Von wegen. „Liaison“ handelt von
weißen, woken und bestens arrivierten USamerikanischen Paaren, die mit der National Rifle Association weniger zu tun haben als Weihwasser mit dem Teufel. In einem mit Kunst und Büchern vollgestopften kalifornischen Landhaus lässt sie Rudelius auf ein Arsenal von Pistolen und Gewehren stoßen.
Die Macht einschlägiger (Vor-)Bilder rastet ein: stieren Glupschaugenblicks die Knarre im Anschlag; oder den Lauf an die Schläfe haltend oder andere Ballermann- und Ballerfrau-Posen. Es blitzt auf, was nicht mehr bloße Pose wäre: Alle sind zu allem fähig.
Komisch daran ist die Berührung der Extreme von wohlhabender Wokeness und Waffennarretei. Entsprechend im Fall der heiligen SUV-Madonna auf dem linken Altarflügel
des neuen, erstmals gezeigten Video-Triptychons „Layers of Sentiment“ („Gefühlsschichten“). Sie spult Eso-Sprech zwischen Grün-Sakral und Waldorf ab („Einfach spüren, was der andere braucht“ ... „Ganz spontan“ ... „Dazu braucht man nicht viel“), unbeschadet der offenkundigen Tatsache, dass ihr alle anderen am Allerwertesten vorbeigehen. Die Verlogenheit korrespondiert mit dem Sozialautismus einer Influencerin auf dem rechten Flügel, die im öffentlichen Fernbus rücksichtslos auf Intimsphäre macht und umgekehrt ihre öffentliche Inszenierung im Netz mit hohlem Emo-Sprech als Privatheit ausgibt.
Im Mittelfeld fühlt Kunst-Stipendiatin in spe bei Goldsöhnchen vor und kriegt freundlichen Bescheid: „Schickste das mal an die Stiftung, und ich red mit meinem Vater.“ Ach so, noch was: „Die klassischen Geschlechterrollen – die sind so langweilig“, säuselt Söhnchen. Sie hört die Nachtigall trapsen. Ein Stipendium gibt’s nicht umsonst.
Die von Johannes Kaufmann kuratierte Einzelausstellung in der Esslinger Villa Merkel reflektiert präzis die Entwicklung von Rudelius’ Methode in den vergangenen 20 Jahren. Der dokufiktive Voyeurismus – in „Train“ von 2001, der ältesten gezeigten Arbeit, fällt der Blick durch die Polsterschlitze eines Zugabteils auf Jungs, die von Sex und Mädchen prahlen – geht über in analytischere Inszenierungen mit verfeinerter Sprachkritik. In „Rites of Passage“ von 2008 etwa treffen junge, männliche Polit-Praktikanten auf ältere, männliche Polit-Praktiker, die sie mit den immer gleichen Max-Weber-
Zitaten ins Allerheiligste des Polit-Business einweihen. Aber das Allerheiligste ist leer: Die Botschaft ist nichts, es kommt darauf an, wie man sie rüberbringt. Der Schauplatz, Washingtons Ölschinken-Repräsentationssphäre, kündet von den US-Erfahrungen der 1968 in Köln geborenen, heute dort und in Amsterdam lebenden Künstlerin.
Der weibliche Blick fokussiert indes die Erotik der Krawatten- und Anzugträger, deutlicher noch in „The hare“, wo die Herren des Investments ihre in noble Stoffe verpackten Hintern durch den Amsterdamer Finanzdistrikt schwenken. Der zur Schau gestellte Voyeurismus aber schlägt um in Hochglanz-Schönheit, welche Rudelius’ Videos zu provokanten Hymnen ans falsche Leben im ästhetisch richtigen macht. Dass der dokumentarische Schein trügt, dass eine zirkuläre Angst- und Eros-Hermeneutik aus den exakt inszenierten Videos herausguckt, was die Künstlerin hineinguckt, ist der Wahrheit der Methode geschuldet: Rudelius ist eine Profilerin von Sozialtypen, die sie zugleich als mögliche Projektion infrage stellt.
Diese Ambivalenz erzeugt in ihren grandiosen Videoarbeiten die knisternde Spannung zwischen Erkenntnis und Zweifel. In
den Zeichnungen, die seit 2019 entstehen, bannt Rudelius Männergewalt unter Männern – vom Missbrauch bis zur Urindusche – direkt und doch dezent aufs Blatt: mit vornehm-feinem Bleistiftstrich auf Unschuldsweiß. Die Dezenz steigert den Schrecken.


Videos mit Begleitung:
Ausstellung in der Esslinger Villa Merkel.
Die Schau dauert bis 16. Juli 2023.
Öffnungszeiten:
dienstags von 11 bis 20 Uhr,
mittwochs bis sonntags von 11 bis 18 Uhr.
Führungen: dienstags um 18.30 Uhr und sonntags um 15 Uhr.

Begleitet wird die Julika-Rudelius-Ausstellung von einer auf
sie abgestimmten Präsentation ausgewählter Werke aus der Grafischen Sammlung der Stadt Esslingen. mez

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