„Geniale Schau in Esslingen – Julika Rudelius ist die Meisterin der Video-Manipulation“ von Silke Arning, SWR2

13.05.2023 - 16.07.2023

Solo Show „Julika Rudelius – in the days of the bullies“

Villa Merkel. Galerie der Stadt Esslingen am Neckar

„Die Videos der Künstlerin Julika Rudelius scheinen realistisch, sind aber subtil manipuliert. In ihnen wirft sie einen besonderen Blick auf soziale Machtstrukturen. Es sind entlarvende, humorvolle und irritierende Filme, von denen die Städtische Galerie Esslingen eine kurzweilige Auswahl zeigt.

Konstruierte Videos mit feministischer Message
Eines darf man auf keinen Fall – nämlich den Videos von Julika Rudelius trauen. Der Arbeit „Train“ von 2001 zum Beispiel: Da hocken ein paar Jungs zusammen im Zug, frauenfeindliche Sprüche machen die Runde, alle scheinen sich offensichtlich bestens auf Kosten einiger Mädels zu amüsieren.

Es scheint, als wäre die Szene mit versteckter Kamera durch den schmalen Schlitz einer Rückenlehne aufgenommen. Doch tatsächlich hat Julika Rudelius ein Gespräch mit den Jugendlichen geführt, sie gebeten, bei ihren Antworten deutlich zu übertreiben. Anschließend hat die Künstlerin sich selbst wieder aus dem Video herausgeschnitten.

„Mir wurde klar, dass das Problem komplexer ist“
Diese Zuspitzung aus rein feministischer Perspektive kennzeichnet dieses frühe Werk von Julika Rudelius, die heute anders auf die Verhältnisse schaut.
„Am Anfang habe ich sehr viel über Männer gearbeitet, weil ich das Gefühl hatte, dass ich Männer kritisieren muss“, sagt die Künstlerin. „Mir ist im Laufe der Zeit klar geworden, dass die Probleme viel komplexer sind.“
Heute gehe es ihr mehr um das patriarchale System, darum wie sich Macht ausdrückt, wie Abhängigkeiten entstehen.

Politik in endloser Dauerschleife
So ist 2008 die Videoarbeit „Rites of Passage“ entstanden, Einblicke in politische Lehrjahre. Der Ort ist das Büro eines amerikanischen Abgeordneten. Ein Kaminsims mit US-Flagge. Die Szene: Der gestandene Senior-Abgeordnete im Gespräch mit seinem noch sehr jungen Praktikanten.
Die Situation wirkt wie ein kurzer Ausschnitt aus einer Polit-Dokumentation. Auf den ersten Blick, erst nach einer gewissen Zeit, wird klar, dass der erfahrende Politiker hier in einer endlosen Schleife immer das Gleiche erzählt. Hauptsache das System läuft rund, die Botschaft spielt keine Rolle.

Ein Spiel mit Realität und Fiktion
Kurator Johannes Kaufmann ist fasziniert von Julika Rudelius, weil sie auf subversive Weise mit Realität und Fiktion spiele. „Sie arbeitet mit schönen Bildern, die aber aus dem Leben gegriffen sind. Man findet bei ihr keine Kunstgriffe, keine dramatische Musik, kein unnatürliches Licht.“ Diese Nüchternheit sei grausam und faszinierend gleichzeitig und spiele mit dem eigenen Verstand.
Die Ausstellung in der Städtischen Galerie Esslingen, in der Villa Merkel, nimmt die letzten 20 Jahre des künstlerischen Schaffens von Julika Rudelius in den Blick: eine spannende, witzige, herausfordernde Auswahl.  

Assoziationen entstehen durch Manipulation
In dem Video „A drift“ sieht man verschiedenste Menschen – jung, alt, People of Color, Frau, Mann – die in einer Art Warteraum auf Stühlen sitzen: Oberkörper zusammengesackt, die Köpfe gesenkt mit geschlossenen Augen. Wie in Trance bewegen sie sich in einer Art Schaukel-Rhythmus begleitet von einem an- und abschwellenden Gesang.
Sofort entstehen abenteuerliche Assoziationen – eine Sekte womöglich? In Wirklichkeit wurden die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes durchgeschüttelt. Julika Rudelius hatte den Raum auf Sprungfedern gestellt.

Sexistischer Blick auf Geschäftsmänner
Herrlich entlarvend ihr Video, mit dem sie 2019 jüngere Geschäftsmänner im Slim-Fit-Business-Anzug aufgenommen hat – mit bewusst sexistischem Blick, wie sie sagt:
„Ich fing an sie zu filmen und dachte: Wow, die bewegen sich wie in einem seltsamen Tanz, einem Balztanz. Die sehen halt alle relativ gleich aus. Wenn man nur die Körpermitte filmt, dann ist das so als ob die sich ständig ihre Genitalien zeigen würden. Ganz viele Männer haben auch ständig ihre Hand in der Hose. Das fand ich spannend“, sagt Rudelius.

Eine geniale Schau in Esslingen
Es ist eine geniale Schau, kurzweilig, aber auch sehr irritierend, wenn man mehrere Pärchen vom Typ intellektuelle Kreative beim Waffenspiel beobachtet oder wie sich eine Influencerin in einem voll besetzten Bus ausbreitet.
Meist sind es schöne, sympathische Menschen, die sich in Julika Rudelius Videos tummeln. Und genau darin lauere der Abgrund, sagt die Künstlerin „Es geht um diese fatale Selbstzentriertheit, die alles um sich herum vergisst. Die macht mir echt Angst.“



Film still: Julika Rudelius: „It is true because I feel it“, 2021, ed.no. 1/5 + 2 AP, 4K video, 5.1 surround sound, 17:25 min., Courtesy: the artist.

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